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14. März 23 | Stadtversammlung diskutiert über Ethik der Versorgung


Die Krankenschwestern Franka Sode und Christiane Schorries und die Klinikseelsorgerin Sabine Bruder (von links) diskutierten auf Einladung der Stadtversammlung der Frankfurter Katholik:innen. Foto: Anne Zegelman

„Koffer sind in unserer Gesellschaft mehr wert als Menschen!“ Mit diesem provokanten Satz fassten die Krankenschwestern Franka Sode und Christiane Schorries ihren Ärger über die Situation des Klinikpersonals in deutliche Worte. Bei der öffentlichen Stadtversammlung der Frankfurter Katholikinnen und Katholiken, die Anfang dieser Woche im Gemeindehaus St. Ignatius (Dompfarrei Bartholomäus) stattfand, wurde über Krankenhausfinanzen und Ethik in der Medizin diskutiert. Und die Krankenschwestern aus der Uniklinik, die sich bei der Gewerkschaft ver.di engagieren, formulierten verärgert: „Wenn am Flughafen gestreikt wird, gibt es einen Aufschrei. Wenn im Krankenhaus gestreikt wird, kriegt das kaum jemand mit, der Aufschrei bleibt aus. Da sieht man mal, welchen Stellenwert Urlaub im Vergleich zur Gesundheit hat.“ Viele Klinikpflegekräfte haben in oder nach der Pandemie frustriert den Job verlassen, zu wenig Junge kommen nach – und die Klinikleitungen sehen, dass es auch mit weniger Personal halbwegs funktioniert. In einer ohnehin schon angespannten Personalsituation sind die wenigen, die noch da sind, überlastet – und fallen häufiger krankheitsbedingt aus, was noch mehr Druck erzeugt. Ein Teufelskreis, in dem Sode, Schorries und ihr Team dankbar sind, wenn von anderer Stelle Hilfe kommt, zum Beispiel in Form der ökumenischen Klinikseelsorge. Die darf zwar natürlich keine medizinischen Handgriffe erledigen, wohl aber den Patientinnen und Patienten zuhören, kleine Gänge erledigen, all das tun, für das die Krankenschwestern und –pfleger schon lange keine Zeit mehr haben.

Mal wieder Hausschlappen besorgt

„Die Not der Patientinnen und Patienten ist groß, sie jubeln regelrecht, wenn wir das Zimmer betreten“, erzählte Sabine Bruder von der Klinikseelsorge an der Uniklinik. „Hauptsache, es kommt mal jemand.“ Gleichwohl betonte sie, dass die Krankenpflege und natürlich Ärztinnen und Ärzte nochmal ein ganz anderes Standing in der Patientenschaft hätten. Doch für die Dinge des alltäglichen Lebens, die in Notsituationen oft so wichtig werden, können Bruder und die katholischen und evangelischen Seelsorger:innen eben unproblematischer für Entlastung sorgen. Nach dem „verschollenen Koffer“ fahnden, das Handy aufladen, beim Anruf daheim helfen: Sabine Bruder und das Team helfen, so gut es geht. Wie oft sie schon in den Laden gegangen wäre und günstige Hausschuhe gekauft hätte, weil die Patienten darum gebeten hätten, könne sie gar nicht mehr zählen, sagte sie. Das Team an der Uniklinik besteht aus haupt- und ehrenamtlichen, katholischen und evangelischen Seelsorgern. Für die Krankenschwestern Franka Sode und Christiane Schorries, die von völlig überlasteten und dennoch sehr engagierten Ärzten und Pflegepersonal berichten, ist es einerseits emotional schwierig, derartige Berichte zu hören, denn früher gehörte es zum Job dazu, sich Zeit für die Menschen nehmen zu können – und diesen Teil ihrer Arbeit vermissen beide sehr. „Aber vor allem sind wir dankbar, auch im Namen der Patientinnen und Patienten, für die Hilfe!“

Schnell wieder loswerden

Prof. Christof Mandry, Professor für Moraltheologie und Sozialethik an der Goethe-Universität Frankfurt, gab zu Beginn des Abends eine Einführung und Einordnung. Dabei wurde einmal mehr deutlich, wie sehr wirtschaftlicher Erfolg in der Klinikorganisation im Vordergrund steht. Damit die Finanzen stimmen, haben Kliniken laut Mandry verschiedene Optionen: Mehr lukrative Operationen „verkaufen“, viele Patienten mit finanziell vorteilhaften Diagnosen anziehen, teure Patienten wie Kinder, Alte und chronisch Kranke schnell wieder „loswerden“, die Liegedauer verkürzen und eben das Personal zu reduzieren und die Arbeit entsprechend zu verdichten. Dadurch ergibt sich ein ethisches Spannungsverhältnis, das in seiner Präsentation als „Normatives Dreieck der christlichen Sozialethik“ bezeichnet wird: „Gute medizinische Versorgung, Würde der Person und Sozialstaatsprinzip“ stehen an der Spitze, an den beiden anderen Kanten „Würde der Arbeit, Mitbestimmung, faire Vergütung und Arbeitsbedingungen“ sowie „Wirtschaftliche Mittelverwendung und Gemeinwohlwidmung“. Aktuell arbeitet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf eine Krankenhausreform hin. Diese soll den Fokus weg von der Ökonomie und auf „mehr Medizin“ hinlenken, das bisherig gültige Fallpauschalensystem soll weiterentwickelt werden. Das pauschalierte Abrechnungssystem gilt seit 2004, es legt fest, dass nicht nach tatsächlicher Dauer einer Behandlung oder einzelner Leistung abgerechnet wird, sondern pro Behandlungsfall pauschal, beruhend auf vergleichbaren Fällen. Prof. Mandry sagte zu den konkreten Vorschlägen der damit betrauten Regierungskommission zur Weiterentwicklung des Systems, es gäbe Vorteile, aber auch einige offene Fragen. Vorteile des Konzepts sind in seinen Augen, dass ambulante und stationäre Versorgung gestärkt würden, die Grundfinanzierung verbessert, die Pflege aufgewertet und die Fallpauschalen an Ausstattungs- und Personalstandards gebunden würden. Der Fachkräftemangel bleibe auch über die Reform hinaus ein Problem, prognostizierte der Sozialethiker. Er wies darauf hin, dass die Krankenhauslandschaft grundlegend umgestaltet würde und die Bundesländer ihrem Investitions- und Planungsauftrag nachkommen müssten, außerdem sei bei den Anforderungsdefinitionen offene Fragen zu klären. Mandry stellte fest, dass verschiedene Klinikträger in unterschiedlichem Ausmaß von Anpassungszwang durch die Reform betroffen seien.

Wie Feuerwehr und Polizei?

Den Krankenschwestern Franka Sode und Christiane Schorries gehen die Reformpläne des Bundesgesundheitsministers nicht weit genug: „Krankenhäuser sollten gar kein Geld verdienen müssen beziehungsweise dürfen“, sagte Schorries. Ihre Lösungsidee: Alle Kliniken zurück in die öffentliche Hand zu geben, ähnlich wie in England oder auch Norwegen. Warum das funktionieren könnte? „Feuerwehr und Polizei zum Beispiel müssen auch kein Geld verdienen, sie können sich auf ihre Aufgaben konzentrieren. So wäre es dann auch bei den Krankenhäusern.“ In Prof. Mandrys Augen gibt es keine einfache Antwort darauf, ob dies eine gute Idee wäre. Er sagt aber auch: „Unser Gesundheitssystem ist über lange Zeit organisch gewachsen, es dürfte schwer sein, einen ganz großen Umbruch zu erreichen.“ Marianne Brandt, Vorsitzende der Stadtversammlung der Frankfurter Katholikinnen und Katholiken, moderierte die Diskussion. „Jeder von uns hat Erfahrung zu Krankenhausaufenthalten, aber viele sind zu den Fakten kaum sprachfähig“, sagte sie. Daher sei es der Stadtversammlung darum gegangen, eine Faktenbasis zu schaffen – und die Situation von Betroffenen und auch Mitarbeitenden „mit dem Herzen zu verstehen“. „Wir als Gremium haben verstanden, dass bestimmte Gruppen von Patienten für wirtschaftlich arbeitende Krankenhäuser nicht lukrativ sind – und dass es deshalb unseren besonderen Fokus darauf braucht.“ Brandt sagte nach der Diskussionsrunde, dass es viele Handlungsimpulse aus dem Gehörten gebe, die nun zu konkreten Ideen ausgearbeitet würden. Weitere Informationen zur ökumenischen Klinikseelsorge an der Uniklinik Frankfurt gibt es hier.

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