Kultur könnte helfen, Krieg und Gewalt die gesellschaftliche Grundlage zu entziehen. Das sagte Dr. Ina Hartwig, Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt, beim Aschermittwoch der Künstler im Haus am Dom: „Etwa zwei Billionen US-Dollar werden weltweit pro Jahr für Rüstung ausgegeben. Stellen wir uns kurz vor, diese gigantische Summe würde in Bildung, Kultur und Armutsbekämpfung fließen. Die Welt wäre eine andere!“ Eigentlich lautete das Thema der Kulturdezernentin „Kultur trotz(t) Corona – Die Erfahrung von Plötzlichkeit: Kultur vor, mit und nach der Pandemie“. Doch dass Hartwig ihrem gut einstündigen Vortrag zunächst einige Worte zur Ukraine-Krise voran stellte, wurde vom geladenen Publikum mit Applaus kommentiert. Sie sei erschüttert, dass mitten in Europa ein Angriffskrieg stattfinde, sagte die SPD-Politikerin und Kulturexpertin, die auch selbst als Autorin tätig ist. Dabei fand sie klare Worte: Niemand hat das Recht, in ein anderes Land einzufallen!“ Zugleich sei der Magistrat „wirklich überwältigt von der Hilfsbereitschaft der Menschen in Frankfurt: Uns erreichen zahlreiche Hilfsangebote, von der Übersetzerin bis zum Immobilienbesitzer. Frankfurt setzt damit ein starkes Zeichen für Menschlichkeit.“
Direkter Einfluss auf die Kultur
Der neue Krieg in Europa habe einen direkten Einfluss auf die Kultur, denn ukrainische und auch russische Kunstschaffende litten unter der aktuellen Situation. Außerdem stelle der Krieg die Kultur auch schlicht vor finanzielle Probleme. Und hier schlug Hartwig den Bogen zur Corona-Pandemie, denn auch die hat Geld gekostet, viel Geld. Die schon seit mehr als zwei Jahren anhaltende Covid-Krise werde zu einer langen Nachwirkung auf die öffentlichen Finanzen und auf die Kulturförderung führen, sagte sie. „Die Kultur insgesamt ist wirtschaftlich einigermaßen gut mit der Krise klargekommen, aber die Stadt hat wahnsinnig geblutet: Ein Flughafen, an dem nichts mehr passiert, Messe, Hotels, Gastronomie, die geschlossen waren - das hat enorme Auswirkungen auf Gewerbesteuereinnahmen.“ Das bedeute, dass die Kultur zwangsläufig auch im Nachgang der Pandemie betroffen sein werde. Aber sie versprach: „Ich werde alle Anstrengungen unternehmen, um die Vielfalt unserer reichen Kulturlandschaft zu erhalten.“ Rückblickend sagte Hartwig, die Kultur in Frankfurt habe, als die Pandemie im Frühling 2020 ausbrach, angemessen und gut reagiert. Das habe vor allem am ruhigen und vernünftigen Vorgehen der Leitungen in den Frankfurter Kulturhäusern gelegen. „Wir alle haben einen digitalen Kompetenzschub bekommen“, formulierte Hartwig den manchmal holprigen, manchmal gut geglückten Sprung ins Digitale, den Corona kurzfristig nötig gemacht hatte. Und das habe, bei aller Dramatik, auch dazu geführt, dass aus der Not heraus neue Formate ausprobiert wurden. Interessant: Mittlerweile würden Stücke sogar ganz speziell fürs Digitale geschaffen, Ballette in virtueller Realität gehörten ebenso dazu wie Schauspiel oder Puppentheater. Zugleich sei aber auch allen klar, dass es sich bei digitalen Angeboten nicht um einen Ersatz für reales analoges Erleben handele, sondern allenfalls um eine Ergänzung.
Kulturelle Teilhabe ist ein Schlüssel
Aber die hat eine sehr erfreuliche Kehrseite: Durch digitale Angebote könne die kulturelle Teilhabe derer, die aus Zeit-, Geld- oder anderen Gründen zuvor nicht an den Veranstaltungen teilnehmen konnten, massiv gestärkt werden. „Die Befähigung zu Kultur verhilft Menschen zu mehr Selbstvertrauen und Selbstreflektion. Kulturelle Teilhabe ist ein Schlüssel zu einem empathischen Miteinander in unserer Stadt.“ Dieser Katalysatoreffekt könne und solle aber nicht darüber hinweg täuschen, das Corona sich als schwere Prüfung für alle Kulturschaffenden erwiesen habe, unterstrich Hartwig. Finanzielles Elend durch wegbrechende Gagen, die persönliche Kränkung, nicht als „systemrelevant“ zu gelten, all das habe Kulturschaffende schwer getroffen. Gerade Menschen, bei denen die Kunst nicht das alleinige Einkommen ausmachte, hätten sehr große Schwierigkeiten gehabt, an Überbrückungsgelder zu kommen, berichtet die Kulturdezernentin. Sie habe deshalb rasch im Dezernat einen Notfallfonds eingerichtet für alle, die bei den Hilfen von Bund und Ländern durchs Raster fallen. Dieser Fonds sei durch großzügige Spenden in der Gesamthöhe von 200.000 Euro aus der Wirtschaft, aber auch von Privatleuten aufgestockt worden.
Zwei konkrete Projekte gegen Hass und Hetze
Kultur sei ein zentrales Bindelied der Gesellschaft, ein menschliches Grundbedürfnis und ein Ort, an dem Freiheit sich entfalten könne. Eine besondere Rolle kommt in den Augen Hartwigs aber der Erinnerungskultur zu, die Hass und Hetze in Schranken weisen könne. Konkret denkt sie dabei an das im Zweiten Weltkrieg mitten in Frankfurt gelegene „KZ Katzbach“ der Adlerwerke, das ab März einen eigenen Geschichtsort bekommen wird, aber auch an das Paulskirchen-Projekt, das an die Gründung der Demokratie erinnert. Schlimmes wie die Pandemie mit all ihren Auswirkungen oder auch das Erleben eines Krieges mitten in Europa seien existenzielle menschliche Erfahrungen, die immer schon von der Kunst verarbeitet worden seien, sagte die Dezernentin.
Bischof Georg Bätzing kam bei der Veranstaltung im Haus am Dom, zu der nur geladene Gäste zugelassen waren und die zugleich auf dem YouTube-Kanal des Hauses (www.youtube.com/hausamdom) live übertragen wurde, mit der Politikerin und Kunstschaffenden ins Gespräch. Im Anschluss leitete er das Aschermittwoch-Pontifikalamt im Bartholomäusdom. Immer wieder flocht er beim Gottesdienst Verweise auf den „ungerechten Krieg“ in der Ukraine ein und predigte über Erneuerung, Umbrüche und schmerzhafte Metamorphosen (Predigt siehe unten). Gambistin Renate Mundi gestaltete den Gottesdienst musikalisch auf der Viola da Gamba, die Stücke aus den „Fantasien“ von Barock-Komponist Georg Philipp Telemann berührten viele der Anwesenden. Entsprechend bekam sie einen langanhaltenden Schlussapplaus am Ende des Gottesdienstes. Unterstützt wurde sie von Dommusikdirektor Andreas Boltz an der Orgel. Wie Prof. Joachim Valentin, Direktor des Hauses am Dom und der Katholischen Akademie, in seiner Einführung sagte, geht der Brauch des Aschermittwochs für Künstler auf den französischen Schriftsteller Paul Claudel (1868-1955) zurück. Er dient dazu, den Blick auf die Künstler zu lenken und sie mit Kirche und Gesellschaft ins Gespräch zu bringen. Ein mit Claudel befreundeter Kölner Stadtdechant hatte die Idee nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegriffen und sie erstmals 1950 also vor über 70 Jahren von Paris nach Köln gebracht. Im Bistum Limburg wurde der Aschermittwoch der Künstler bereits zum 62. Mal gefeiert, zum 15. Mal im Haus am Dom.
Comentarios