Wenn die Europäische Union die innere Einheit bewahrt, wird sie auch den Frieden an Europas Grenzen bewahren können. Das hat der Erzbischof von Riga, Zbignevs Stankevics, im Karlsamt im Frankfurter Dom betont. Die Kirche trage dazu bei mit Gebeten für den Frieden und der Umsetzung der Synode, sagte der Gast aus Riga mit Blick auf den Synodalen Weg der Weltkirche, den Papst Franziskus im vergangenen Jahr eröffnet hat. Hier seien nicht nur Katholiken, sondern auch Christen anderer Konfessionen, Angehörige anderer Religionen, Gläubige und Ungläubige einbezogen. „Das wird uns helfen zu verstehen, was der Geist Gottes der Kirche im 21. Jahrhundert sagt, damit wir dann eine angemessene Antwort geben können.“ Der Synodale Weg helfe auch, „den schlafenden Riesen, die Laien, zu erwecken", damit sie Verantwortung für die Kirche übernähmen. Die Weckung dieses "Riesen" sei seit vielen Jahren sein Traum, bekannte er.
Einander aus Nächstenliebe akzeptieren
Eine weitere aktuelle Herausforderung ist nach den Worten des Erzbischofs die Überwindung von Pandemie-Folgen wie Zunahme von Depressionen, Unwissenheit und Verwirrung. In dieser schweren Situation habe die Kirche eine Botschaft der Hoffnung. Als von Seiten der Regierung in Lettland in der ersten Infektionswelle eine Schließung der Kirchen im Raum gestanden habe, hätten Christen, Juden und Gläubige anderer Konfessionen mit einer Stimme gesprochen und sich gemeinsam erfolgreich dagegen verwahrt. Der Mensch lebe nicht vom Brot allein, sondern brauche das lebendige Brot in der Eucharistie und die Möglichkeit zum Gebet in Gemeinschaft. Bei den staatlichen Autoritäten sei das Verständnis für diese Überzeugung gewachsen. Auch das Thema Impfung streifte der Gastprediger in diesem Zusammenhang. Obgleich selbst erklärter Impfbefürworter, der offensiv für Impfungen geworben habe, plädiere er angesichts der Spaltung zwischen Impfgegnern und Geimpften inzwischen dafür, „sich aus Nächstenliebe gegenseitig zu akzeptieren.“
Als dritte Herausforderung nannte er in seiner Predigt Probleme der Geschlechtsidentität in der heutigen Gesellschaft. Immer mehr Männer und Frauen wüssten nicht mehr, "wer sie sind, und sind verwirrt." Sie sollten mit Liebe angenommen werden und mit Respekt vor ihrer Menschenwürde. Zugleich müsse ihnen die frohe Botschaft der bedingungslosen Liebe Gottes verkündet werden, dass Christus gekommen sei, "um auch ihnen zu helfen, mit sich selbst in Klarheit zu sein, auch das Kreuz seines Lebens anzunehmen und den Ruf zur Keuschheit zu erfüllen."
Ein Kompliment für die Stadt
Das feierliche Karlsamt, mit dem die katholische Stadtkirche Frankfurt alljährlich zum Todestag Karls an den Gründervater Europas, den Patron der Stadt und des Kaiserdoms, erinnert, stand seinerseits erneut unter den Folgen der Pandemie. Wie im vergangenen Jahr mussten hier, ebenso wie beim vorausgehenden Domgespräch im benachbarten Haus am Dom, viele Plätze frei bleiben. Außer den rund 150 Teilnehmern vor Ort konnten allerdings Interessierte das Geschehen im Livestream auf der YouTube-Kanal der Stadtkirche verfolgen. Das Karlsamt im Video ist auf der YouTube-Seite der Katholischen Stadtkirche Frankfurt zu finden.
Der traditionelle Empfang im Rathaus war ebenfalls nur einem kleinen Kreis vorbehalten. Stadtdekan Johannes zu Eltz nahm darauf Bezug, als er im Namen der Katholischen Stadtkirche die Gottesdienstteilnehmer begrüßte. Sein besonderer Gruß galt dabei den Vertretern der Stadt Frankfurt. „Sie haben uns in Ihrem Römer zu Gast gehabt, und wir heißen sie jetzt in Ihrem Dom willkommen“, meinte er und verband die damit angesprochene Asymmetrie, die immer anmutig ausgeglichen werde, mit einem herzlichen Kompliment: „Wir wissen, was wir an unserer Stadt haben.“ Ein eigener Gruß galt darüber hinaus den evangelischen Mitschwestern und Mitbrüdern, die sich nicht nur am Tag Karls des Großen hier wie Zuhause fühlen sollten, könne doch der Dom der Stadt nicht konfessionell eng geführt werden. Das Heimatgefühl der evangelischen Christen in diesem Haus sei durch die Vorbereitung und die Durchführung des Ökumenischen Kirchentages noch einmal mehr gestärkt worden.
Komplexe Systeme verändern
Wenn an diesem Tag Karls des Großen gedacht werde, dann werde auf Europa in der Vergangenheit geschaut, um daraus Lehren für die Gestaltung des Europas von heute zu ziehen, sagte Bischof Georg Bätzing bei der Begrüßung des Erzbischofs aus Lettland. Der Gast komme aus einem der kleinen Länder Europas, einem Schmelztiegel aus verschiedenen christlichen Konfessionen und Nationalitäten, mit einer bewegenden Geschichte. Ausdrücklich dankte er dafür, „wie Sie dort als Christinnen und Christen christliches Zeugnis ablegen.“ Für Lacher in der Gottesdienstgemeinde sorgte der Hinweis Bätzings auf die Biographie des Geistlichen, der ursprünglich als Ingenieur „einen richtigen Beruf gehabt" habe und zwölf Jahre lang mit der Veränderung komplexer Systeme befasst gewesen sei. Wie wunderbar, wenn man das lernen könne, um es in der Kirche zu verwirklichen, so der Bischof. Zbignevs Stankevics hatte nach seinem Ingenieursstudium bis 1990 als Spezialist für automatische Steuersysteme in einer Werft gearbeitet. Anschließend studierte er Theologie und wurde 2010 zum Bischof geweiht und zum Erzbischof von Riga ernannt. In dieser Funktion ist er auch Metropolit der drei übrigen lettischen Diözesen.
Süße Krönchen als Trost
Der besondere Gottesdienst, der außer in Frankfurt nur in der Karlstadt Aachen gefeiert wird, ist unter anderem geprägt von der Beteiligung der Ritterorden in ihren auffälligen weißen und schwarzen Gewändern – in diesem Jahr nur mit einer kleinen Abordnung präsent –, vor allem aber von den vorgetragenen mittelalterlichen lateinischen Gesängen. Komprimiert auf der Orgel-Empore erklangen in beeindruckender Weise die Karlssequenz, ein Lobgesang auf Kaiser und Stadt, und die Kaiserlaudes, in der Huldigungsrufe an Christus mit Bittrufen für Kirche, Papst, Bischof, das deutsche Volk und alle Regierenden verbunden werden.
Nicht zuletzt machte die Pandemie der Tradition des normalerweise an den Gottesdienst anschließenden Empfangs einen Strich durch die Rechnung. Damit darüber keine allzu große Enttäuschung aufkommen konnte, gab es für alle Gottesdienstteilnehmer ein Tütchen „Süße Kronen“ - am Ausgang von Marianne Brandt, Vorsitzender der Stadtversammlung, und Stadtdekan zu Eltz höchstpersönlich überreicht.
Karl der Große gilt als Gründer Europas nach dem Ende des römischen Imperiums. Er starb am 28. Januar 814. Im Jahr 794 hatte er eine Reichssynode nach Frankfurt berufen und so für die erste schriftliche Erwähnung der heutigen Main-Metropole gesorgt. Seit mehr als 600 Jahren gedenken die Frankfurter Katholiken immer am letzten Samstag im Januar dieses „Vaters des Abendlandes“ und beten für eine gute Zukunft Europas.
"Keinen Dialog zu haben ist gefährlich" - Gastzelebrant Zbignevs Stankevics im Gespräch mit Prof. Joachim Valentin: www.hausamdom-frankfurt.de
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