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28. Jan 23 | Karlsamt


Erzbischof Éric de Moulins-Beaufort war Gastzelebrant des Karlsamtes 2023. Foto: Maik Reuß

Die Kirche ist nicht mehr die Mutter, die Menschen zum Leben im Geist befähigt. Das sagte Éric de Moulins-Beaufort, Erzbischof von Reims, in seiner Predigt beim Karlsamt am Samstagabend im Bartholomäusdom. De Moulins-Beaufort, Gastzelebrant des diesjährigen Pontifikalamts, mit dem jährlich Kaiser Karl des Großen gedacht wird, fand deutliche Worte für den Zustand seiner Kirche: „Sie bietet den Staaten nicht mehr die Ressourcen der Sinngebung, des Trostes und des Engagements, die ihre eigenen Unzulänglichkeiten ausgleichen. Vielen erscheint sie als Relikt der Vergangenheit, die eher lästig ist als nützlich und heute, vor allem was die katholische Kirche betrifft, sogar als eine beunruhigende Kraft, deren gesellschaftlicher Nutzen durch die bisher vertuschten Verbrechen, die in ihrem Inneren begangen wurden, weitgehend geschmälert wird.“ Die gesamte Predigt im Wortlaut ist hier zu finden. Für Éric de Moulins-Beaufort, der seit 2019 Vorsitzender der französischen Bischofskonferenz ist, war das Karlsamt aus persönlichen Gründen eine Art Reise in die Vergangenheit. Wie er berichtete, studierte er ab September 1989 für ein Semester an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt – und besuchte damals als Seminarist das Karlsamt. Natürlich in einer der hinteren Reihen. Dass er diesmal nun vorne stehen durfte, sei seinen Gastgebern Bischof Georg Bätzing, Weihbischof Thomas Löhr und Stadtdekan Johannes zu Eltz zu verdanken. „Ich danke für die große Ehre, nach all den Jahren an anderer Stelle wieder hier zu sein – das berührt mich.“ Erstmals konnte das Karlsamt, zu dem mittelalterliche lateinische Gesänge wie die Karlssequenz, ein Lobgesang auf Kaiser und Stadt, und die Kaiserlaudes, in der Huldigungsrufe an Christus mit Bittrufen für Kirche, Papst, Bischof, das deutsche Volk und alle Regierenden verbunden werden, wieder ohne Pandemie-Einschränkungen gefeiert werden. Auch die Vertreterinnen und Vertreter der Ritterorden traten erstmals wieder in voller Stärke auf. Die einzigartige Karlsamt-Liturgie mit mittelalterlichen Gesängen wird seit alters her nur in der Karlsstadt Aachen und in Frankfurt gefeiert, wo im Mittelalter die deutschen Kaiser gewählt wurden.

Es gibt keine Entschuldigung

Inhaltlich fand Gastbischof de Moulins-Beaufort sowohl in der Predigt als auch beim Domgespräch am Nachmittag kritische und demütige Worte. Auch die katholische Kirche in Frankreich wird seit 2021 von Enthüllungen sexuellen Missbrauchs erschüttert – und ist seitdem auf einem ähnlichen Weg der Aufarbeitung wie Deutschland. Dazu passte, dass die erste Lesung im Pontifikalamt aus dem Buch Zefanja mit dem Satz „Ich lasse in deiner Mitte übrig ein demütiges und armes Volk“ überschrieben war. „In unserer Kirche wurde Missbrauch in sehr hoher Zahl entdeckt, und viel Gewalt“, sagte de Moulins-Beaufort am Nachmittag im Haus am Dom im Gespräch mit dessen Direktor Professor Joachim Valentin. „Wahrscheinlich ist das einzig mögliche Zeichen, das wir als Kirche Christi geben können, in Demut unseren Weg fortzusetzen. Wir müssen uns um Betroffene kümmern und ihnen ihre Rechte wiedergeben, wo es möglich ist. Für das Geschehene gibt es keine Entschuldigung.“ Alles, was zu ändern sei, gelte es nun zu ändern, um zu verhindern, dass Missbrauch weiter stattfinden könne, so der Bischof. „Jetzt wissen wir, dass Autorität Menschen verderben kann – das ist wahr für die Kirche und die Gesellschaft und die ganze Menschheit. Wir wollen die Kirche von Christus sein und keine Kirche der Macht!“ Daneben klang auch immer wieder das Thema Versöhnung an, vor allem zwischen den ehemaligen Kriegsparteien Frankreich und Deutschland. Erst vor wenigen Tagen wurde das 60. Jubiläum des Élysée-Vertrages gefeiert: Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle jenes Dokument, das 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Partnerschaft zwischen den beiden einst so verfeindeten Nachbarstaaten besiegelte und seither als Meilenstein in der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen gilt. Doch auch an anderer Stelle gibt es Raum für Versöhnung: „Es scheint mir, dass es unsere Rolle als katholische Kirche sein könnte, Frankreich mit seiner Geschichte zu versöhnen, vor allem mit Algerien.“ Algerien war ab 1830 Frankreichs älteste und größte Kolonie und ist seit 1962 eigenständig.

Im Erzbistum Reims im Nordosten Frankreichs sind die Katholiken in großer Überzahl. Eine luxuriöse Situation, die allerdings auch große Verantwortung mit sich bringt. „Wir arbeiten in Reims an unserer guten Beziehung mit Juden, Muslimen und Buddhisten“, berichtete der Erzbischof. Auf der Ebene der Verantwortlichen funktioniere das sehr gut, es gebe mehrere Treffen pro Jahr und tiefe Beziehungen. Auf politischer Ebene seien die Beziehungen allerdings schwieriger geworden, auch aufgrund eines neuen Gesetzes, das im August 2020 in Kraft getreten sei und das die Religionen mehr kontrolliere – aus Angst vor Radikalismus. Vor zehn Jahren habe der damalige Präsident Nicolas Sarkozy versucht, einen Rat der Muslime in Frankreich zu schaffen – doch aufgrund von Konflikten stellte der Rat die Arbeit ein. „Das ist eine große Herausforderung“, so der Gastbischof.


Inszenierung noch zeitgemäß?

Bereits am frühen Nachmittag war Versöhnung auch ein Thema beim städtischen Empfang im Römer. Dort begrüßte Stadtrat Dr. Bernd Heidenreich (CDU) den französischen Gast und nannte die deutsch-französische Freundschaft den „Motor des europäischen Versöhnungswerks und Garant für die Sicherheitsarchitektur unseres Kontinents“. Im Besuch des Erzbischofs von Reims in Frankfurt und in der Feier des Karlsamtes spiegele sich nicht nur ein gemeinsames kulturelles Erbe, sondern auch die wechselvolle Geschichte von Deutschen und Franzosen. Heidenreich sagte, sicher möge so mancher Beobachter fragen, ob Inszenierungen wie das Karlsamt von Stadt und Kirche überhaupt noch zeitgemäß seien. „Solche kritischen Stimmen verkennen aber die Bedeutung von Ritualen für den modernen Menschen, für politische und religiöse Gemeinschaften und für den Zusammenhalt einer Gesellschaft“, so Heidenreich. Dass dies nicht von der Hand zu weisen ist, zeigte sich dann am Abend im Dom, der bis auf den letzten Platz gefüllt war. Sowohl das Domgespräch mit Éric de Moulins-Beaufort als auch das Karlsamt wurden live gestreamt und sind als Videos auf YouTube zu finden.

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