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Seelsorge hinter Gittern


Blick durch Stacheldraht in den Himmel. Foto: Engin Akyurt

Sie bieten Gespräche und praktische Hilfe, begleiten und halten aus, wo andere sich abwenden: Das Seelsorgeteam im Frauengefängnis der JVA Preungesheim ist für die Gefangenen da, aber auch für Angehörige und Angestellte. Der „Knast“ als Arbeitsort: Alltag in einer Extremsituation.


FRANKFURT.- Vor kurzem begleitete Gefängnisseelsorgerin Christiane Weber-Lehr eine Gefangene in Handschellen zu einer Beerdigung – gemeinsam mit zwei Bediensteten. Während die Kollegen die Frau bewachten, war die Pastoralreferentin Stütze und Trost für die Trauernde, bot Begleitung für die Seele. „Die Kollegen haben anschließend zu mir gesagt, wie froh sie sind, dass jemand, wie sie es formulierten, fürs , Gefühl ‘ da war“, berichtet Weber-Lehr. „Dieses Zusammenspiel der Unterschiede, dieses ergänzende Miteinander ist im Vollzug etwas sehr Kostbares.“


Seit drei Jahren ist sie Gefängnisseelsorgerin an der JVA 3 – der Frauenhaftanstalt in Frankfurt Preungesheim. Gemeinsam mit der evangelischen Pfarrerin Susanne Kahlbaum und Pfarrer Jörg Oeding betreut sie derzeit 257 Frauen, 18 davon im offenen Vollzug. Wöchentliche Gottesdienste, Einzelgespräche, Bibelgruppen und Unterstützung, um Kontakt zur Familie zu halten – die Tage in der JVA 3 sind voll und oft intensiv. Die Seelsorgerinnen und ihr Kollege sind zwar offiziell „nur“ fürs Geistliche zuständig, finden sich aber auch oft konfrontiert mit psychologischen und sozialen Fragen. „Das überschneidet sich“, sagt Pfarrerin Susanne Kahlbaum, die selbst seit mehr als acht Jahren im Gefängnis arbeitet. Und auch Weber-Lehr berichtet: „ich bin nicht nur für Rituale und wolle zuständig, sondern für Begleitung; Lebensdeutung im Glauben und religiöse Fragen.“


Gefängnisseelsorgerinnen Christiane Weber-Lehr (links) und Pfarrerin Susanne Kahlbaum. Foto: Anne Zegelman

Doch anders als die vier Psychologinnen und zwölf Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind Weber-Lehr, Kahlbaum und Oeding bei Einzelgesprächen an eine strenge Schweigepflicht, das Seelsorgegeheimnis, gebunden. „Und das ist ein hohes Gut, weil die Frauen uns einfach alles anvertrauen können“, sagen die beiden Seelsorgerinnen.


Gewissensfrage vor Jobantritt


Beide haben sich sehr bewusst für „den Knast“ als Arbeitsort entschieden. „Bevor ich hierher gekommen bin, habe ich mich gefragt, ob ich auch für solche Menschen da sein kann, mit deren Entscheidungen und Taten ich nicht einverstanden bin“, berichtet Pfarrerin Kahlbaum. Und die Antwort lautet, damals wie heute, ja.


Die Altersspanne der Frauen, die in der JVA 3 in Preungesheim einsitzen, ist groß. Die jüngste Inhaftierte ist 15 Jahre alt, doch es gibt auch Seniorinnen. Da Frauen viel weniger häufig straffällig werden als Männer – „Von 100 Gefangenen weltweit sind nur fünf Frauen“, berichten die Seelsorgerinnen – sind im Frauengefängnis verschiedene Kategorien von Gefangenen untergebracht, während es für Männer einzelne, nach Kategorie sortierte Gefängnisse gibt. Baulich getrennt befinden sich in der JVA 3 ein Jugendgefängnis, ein Gefängnis für Kurzstrafen, ein offener Vollzug, Langstrafen und Sicherungsverwahrung für Frauen.


Babys sind die große Attraktion


Zu den sonntäglichen Gottesdiensten, die Christiane Weber-Lehr mit Unterstützung ihres Seelsorgehelfers Pfarrer Rainer Frisch katholischerseits, Pfarrerin Susanne Kahlbaum, Pfarrer Jörg Oeding und Pfarrerin Christiane Bastian evangelischerseits im Wechsel halten, kommen zu normalen Zeiten 70 Frauen in den Gottesdienstraum der JVA 3. Mit Beginn der Pandemie musste der Gottesdienst in die Sporthalle umziehen, mit Sicherheitsabstand dürfen 30 Frauen teilnehmen. Dabei sei es vielen Inhaftierten nicht so wichtig, ob der Gottesdienst katholisch oder evangelisch sei – wichtig sei das Spirituelle, aber auch der gesellschaftliche Faktor: Die Freundin treffen, die Zelle verlassen, mal etwas anderes sehen.


Eine Attraktion seien in den großen Gottesdiensten vor der Pandemie die Babys gewesen, die mit ihren Müttern im Mutter-Kind-Heim des geschlossenen Vollzugs auf dem Gelände leben und von denen viele schon hinter Gittern geboren wurden, berichten die Seelsorgerinnen: „Die sind dann oft geknuddelt worden, weil viele Gefangene ihre eigenen Kinder vermissen.“ Doch aufgrund der Pandemie ist aktuell alles entzerrt; für die Mütter und Babys gibt es im Zweiwochentakt eigene Gottesdienste, genauso wie für die Jugendlichen.

Covid hat noch andere Herausforderungen mit sich gebracht: Während des Lockdowns durften die Frauen keinen Besuch bekommen, stattdessen erlaubte man ihnen nach einer Anlaufzeit, mit ihren Angehörigen zu skypen. Auch die Tagesbeschäftigung – viele der Gefangenen haben einen Job innerhalb der Gefängnismauern – konnten zum Teil nicht weiterlaufen. Stattdessen bekamen die Frauen ein Corona-Geld ausgezahlt, ihre Telefonbeschränkung von üblicherweise 120 Minuten im Monat wurde aufgehoben und vor allem wurden ihnen für die Zeit des Lockdowns die TV-Gebühren von monatlich 19 Euro erlassen, so dass sie in ihren Zellen Beschäftigung hatten. Vor allem Wolle zum Stricken sei in dieser Zeit noch gefragter gewesen als sonst, berichten die Seelsorgerinnen. Und die Gespräche wurden oft noch intensiver.


Religion spielt oft keine große Rolle


Auch wenn die beiden Seelsorgerinnen und ihr männlicher Seelsorger-Kollege mit geistlichem Auftrag kommen, spielt die Religion in der Kommunikation mit den Häftlingen häufig gar keine große Rolle. „Wir wissen oft gar nicht, ob eine Frau religiös ist – und an was sie glaubt“, berichten beide. So habe eine der freiwilligen Küsterinnen immer besonders liebevoll den Altartisch hergerichtet, obwohl sie, wie sich später herausstellte, Muslima war.

Apropos: Neben den christlichen Seelsorgern gibt es auch eine muslimische Betreuerin, die regelmäßig das Frauengefängnis besucht. Ab und zu komme auch jemand von den Zeugen Jehovas, es gebe einen Neuapostolischen Seelsorger sowie zwei weitere christliche Kollegen; einen spanischsprachig und einen portugiesischsprachig, da viele Frauen mit diesen Muttersprachen in Preungesheim inhaftiert sind – Frankfurt fungiert als Drogenumschlagplatz für „Lieferungen“ aus Lateinamerika. Bei Bedarf kommt aber natürlich auch ein Rabbi oder ein Seelsorger einer anderen Religion. Die Anstalt muss für jede Religion einen Ansprechpartner zur Verfügung stellen, wenn die Inhaftierte das wünscht.


Streit, Geschrei, Tränen und viel Gefühl


Beide berichten, es habe ganz eigene Herausforderungen, mit derart vielen inhaftierten Frauen zu arbeiten. Da gebe es schon oft Streitigkeiten, Geschrei und auch Tränen. Druck funktioniere bei Frauen subtiler, anders als bei Männern gebe es weniger körperliche Gewalt, dafür Mobbing auf mentaler Ebene. Doch viele Konflikte erledigen sich auch schnell wieder. Arbeiten mit Frauen ist Arbeiten mit vielen Emotionen.


Neben den Gefangenen ist das Seelsorgeteam auch ansprechbar für die Angehörigen. Einen wichtigen Teil der Arbeit machen außerdem Gespräche mit den Angestellten der einzigen Frauenhaftanstalt Hessens aus, die in diesem alles andere als gewöhnlichen Job oft emotional und körperlich sehr gefordert sind.


Das Team schreibt regelmäßig Spendenbriefe an die katholischen Pfarreien und evangelischen Gemeinden, denn von Spenden werden Sonderaktionen wie eine schöne Gemüsetüte zu Erntedank oder eine Weihnachtsgeschenketasche für die Gefangenen ermöglicht. Pfarrerin Susanne Kahlbaum ist außerdem bei Geburten hinter Gittern dabei und begleitet Frauen, die abgeschoben werden, zum Flughafen.


Haft sei für die Gefangenen immer eine Extremsituation. „Im Gefängnis ist man auf das Wesentliche zurückgeworfen und hat kaum Ablenkungen“, sagt Christiane Weber-Lehr. Von den verschiedenen Haftphasen, die die Frauen emotional durchmachen, sei die Zeit unmittelbar vor der Entlassung eine der besonders intensiven. „Da machen sich die Frauen viele Gedanken, wie es weitergeht, und manche verfallen regelrecht in Panik“, weiß Susanne Kahlbaum. Aber auch da hilft die Gefängnisseelsorge mit Gesprächen, die Halt geben.

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