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Gott ist immer mit im Krankenzimmer


Ehrenamtlich für Krankenhauspatient:innen da sein, zuhören, Trost spenden - das lernt man in der Ausbildung des Ökumenischen Arbeitskreises Seelsorge. Foto: Stephen Andrews

Vor 25 Jahren begann der Ökumenische Arbeitskreis Seelsorge (ÖAKS) damit, die ersten ehrenamtlichen Seelsorger:innen auszubilden. Die, die den Ausbildungskurs absolvieren, werden anschließend dort eingesetzt, wo Beistand am dringendsten gebraucht wird.


Das Kribbeln im Bauch beim Herunterdrücken der Türklinke gehört dazu – und bleibt auch nach Jahrzehnten im Seelsorge-Dienst. „Ein Krankenzimmer zu betreten bedeutet, eine Schwelle zu übertreten“, sagt der evangelische Pfarrer Lothar Jung-Hankel. „Man weiß nie, was einen erwartet, sondern muss sich immer wieder neu darauf einlassen, das kostet auch mich noch Überwindung. Aber das ist auch gut so, immerhin muss man in diesem Dienst offen sein für das, was die Menschen hinter der Tür zu sagen haben. Und darauf muss man sich beim Eintreten eben vorbereiten.“

Jung-Hankel ist Mitglied im Ökumenischen Arbeitskreis Seelsorge (ÖAKS), der seit 1998 Ehrenamtliche für den Seelsorge-Dienst in Krankenhäusern, Altenheimen, citypastoralen Einrichtungen und Gemeinden qualifiziert. Früher gehörten auch Hospize zu den Einsatzorten der gut 200 Ehrenamtlichen, die der ÖAKS im Lauf eines Vierteljahrhunderts ausgebildet hat. „Doch die Hospize bieten mittlerweile eigene Qualifizierungskurse an“, berichtet Sabine Bruder, katholische Pastoralreferentin, die genau wie Jung-Hankel und eigentlich vier (aktuell sind es nur drei) Ehrenamtliche, zum Leitungskreis gehört. Auch in der Gefängnisseelsorge wurden jahrelang freiwillige Seelsorger:innen eingesetzt. Doch wegen der komplizierten nötigen Sicherheitsvorkehrungen sind dort inzwischen nur noch hauptamtliche ökumenische Teams unterwegs.


Ein einzigartiges Konzept


Es handelt sich um ein einzigartiges Konzept, das auf evangelischer Seite beim Stadtdekanat, auf katholischer beim Bistum Limburg aufgehängt ist. Natürlich gibt es auch andernorts Qualifizierungskurse für ehrenamtliche Seelsorge, diese sind jedoch in der Regel konfessionell organisiert. Jedes Jahr beginnt ein neuer Kurs, der Platz für acht bis zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer bietet, wobei die Frauen meist in der Überzahl sind, wie Ausbilder Tony Jung-Hankel berichtet. Voraussetzung ist, einer christlichen Kirche anzugehören – oder ansonsten eine Loyalitätserklärung zu unterzeichnen. Eine Altersgrenze gibt es nicht, wichtig ist, dass man geistig fit ist. „Wir freuen uns, dass gelegentlich auch junge Menschen, zum Beispiel Studierende, dabei sind, denn sie bringen oft frische Perspektiven ein“, so Jung-Hankel.


Nähe und Distanz


Der theoretische Kurs selbst ist auf ein Jahr ausgelegt. Inhalte, die dort vermittelt werden, sind seelsorgliche Gesprächsführung, Gewissheit über die eigene Rolle, Nähe und Distanz, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Begleitung bei Krise und Trauma, Trauer, Sterbebegleitung, Begleitung bei Demenz, Sinnfragen, Selbstfürsorge und noch viele mehr. Es gibt für die Teilnehmenden zunächst ein Vorgespräch mit der Kursleitung und einen Kennenlernabend, anschließend starten im zweiwöchigen Turnus die Seminarabende, an denen theoretische Inhalte vermittelt und Erfahrungen aus dem parallel anlaufenden Praktikum (zwei bis drei Stunden wöchentlich) besprochen werden. Außerdem stehen drei gemeinsame Wochenenden auf dem Kursplan – Zeiten des intensiven Lernens, des Austauschs und des Zusammenwachsens der Gruppe.


Bindung für ein Jahr


Anschließend folgt ein Praxisjahr. Danach werden die Ehrenamtlichen offiziell beauftragt und binden sich vertraglich für ein Jahr, in einer von ihnen gewählten Einrichtung einen Vormittag oder Nachmittag pro Woche zwei bis drei Stunden seelsorglich zu arbeiten. Im ersten Jahr der Ausbildung gibt es drei Monate „Probezeit“, in der Ausbildungsleitung, Einrichtung und Seelsorger:in schauen, ob die Zusammenarbeit funktioniert.


Brigitte Lüben, Ralf Machnik, Tony Jung-Hankel und Sabine Bruder (von links) vor dem Büro des ÖAKS an der Uniklinik in Frankfurt. Foto: Anne Zegelman

Für alle Ehrenamtlichen gilt, dass sie sich jeweils nur ein Jahr verbindlich an den ÖAKS binden. Der einjährige Vertrag wird auf Wunsch danach weiter für ein Jahr verlängert“, erklärt Pastoralreferentin Sabine Bruder, seit 2011 im Leitungskreis des ÖAKS. Ziel der zeitlichen Befristung ist, dass die Einrichtungen eine gewisse Planungssicherheit bekommt – und die oder der Ehrenamtliche sich zugleich nur für einen überschaubaren Zeitraum fest bindet.

„Vor einiger Zeit haben wir im Leitungskreis beschlossen, nach der theoretischen Ausbildung noch ein Praxisjahr anzuhängen“, berichtet Tony Jung-Hankel. Generell ist der Austausch mit Hauptamtlichen eine wichtige Säule für die Ehrenamtlichen. „Unsere Ehrenamtler werden nur dort eingesetzt, wo auch Hauptamtler sind, einfach, damit sie Mentorinnen und Mentoren vor Ort haben.“ Durch unbesetzte hauptamtliche Stellen werde das nach und nach zur Herausforderung. „Doch wir achten dennoch darauf, denn als Ehrenamtler kann und soll man nicht alles alleine stemmen müssen“, so Tony Jung-Hankel, der den aktuellen Ausbildungskurs leitet und vor kurzem in den Ruhestand gegangen ist, wodurch er nun vom Haupt- zum Ehrenamtler wurde.


Belastende Situationen gut verarbeiten


Dankbar für die Unterstützung der Hauptamtlichen ist zum Beispiel der katholische Ehrenamtler Ralf Machnik, der bald sein Praktikum beendet. „Für unsere Arbeit ist es unheimlich wichtig, einen Hauptamtlichen als Ansprechpartner zu haben, denn gerade am Anfang gibt es schon die eine oder andere belastende Situation.“ So geriet der 65-Jährige, ehemaliger Lehrer sowie Abteilungsleiter im Dezernat Schule und Bildung des Bistums Limburg, gleich zu Anfang seines Praktikums in ein Sterbezimmer, wusste davon aber nichts und sagte den gerade eintreffenden Angehörigen, der Patient schlafe – sie entgegneten: „Nein, er stirbt.“ Eine unangenehme, belastende Situation für den Neu-Ehrenamtler. Darüber habe er im Anschluss mit seiner hauptamtlichen Betreuerin sprechen können, eine große Hilfe, die ihn aufgefangen habe.


Offene Ohren für die Menschen


Machnik kam vor einem Jahr zur ehrenamtlichen Seelsorge und wird im kommenden Jahr 2024 offiziell vom Bistum Limburg beauftragt. Auf Einsätze im Patientenzimmer bereitet er sich mit einem Gebet vor. „Ich bete dann immer, dass ich offene Ohren für Gott und für die Menschen haben möge“, berichtet er. Zuhören, das sei überhaupt das Allerwichtigste in der Seelsorge – sich darauf einzustellen, was die Menschen möchten. Viele seien sehr dankbar für das Gesprächsangebot, erzählt das Team, und zwar unabhängig davon, welcher Religion der Patient oder die Patientin angehören. Um Gott geht es häufig nur hintergründig, Alltagsprobleme oder Lebensgeschichten stünden in fast allen Gesprächen an erster Stelle. Da mache man dann viele positive Erfahrungen, wissen alle zu berichten – und Gott sei sowieso immer mit im Krankenzimmer. Aber man höre schon auch manchmal: „Von der Kirche kommen Sie? Raus!“

Aktuell sind etwa 60 vom ÖAKS ausgebildete Ehrenamtler in Frankfurt aktiv. In den Anfangsjahren seien nicht alle hauptamtlichen Seelsorger:innen begeistert von der Idee ehrenamtlicher Unterstützung gewesen, berichtet Sabine Bruder. „Damals hat man sich gefragt: Was ist denn unsere berufliche Qualifikation dann überhaupt noch wert?“, erzählt sie. Doch diese Haltung habe sich in den 25 Jahren sehr stark verändert, heute seien die Ehrenamtlichen eine wichtige Säule in der täglichen Arbeit. „Die Zusammenarbeit funktioniert – und wir Ehrenamtlichen werden durch unsere gute Ausbildung sehr respektiert“, hat Brigitte Lüben, evangelisch und 80 Jahre alt, in den vielen Jahren ihres Engagements erfahren. Mehr als 15 Jahre war sie im Leitungskreis, 16 Jahre arbeitete sie als ehrenamtliche Seelsorgerin im Hospiz, seit 15 Jahren seelsorgerlich in der geriatrischen Reha, außerdem bietet sie neuerdings Telefonseelsorge im Trauerzentrum St. Michael an und engagiert sich zudem noch als Schiedsfrau. Brigitte Lüben war es auch, die die jährlichen und sehr beliebten Dankefeste für die Ehrenamtlichen initiierte. „Denn man freut sich einfach, wenn man eine Würdigung erhält“, sagt sie.


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Mit Unterschieden zu leben lernen

Zur Geschichte des Ökumenischen Arbeitskreises Seelsorge


„Dienet einander, eine jede mit der Gabe, die sie empfangen hat, als die guten Haushalterinnen

der bunten Gnade Gottes.“ 1. Petrus 4,10


Ums Einander-Dienen ging es dem Ökumenischen Arbeitskreis Seelsorge von Anfang an. Mitte der 90er Jahre wurde deutlich, dass man trotz eines intensiven Ausbaus hauptamtlicher Seelsorge viele Patienten in den Krankenhäusern nicht erreichen kann und sie keine seelsorgliche Begleitung in den Krisen des Krankseins erleben. Das schrieb Chronist und Gründungsmitglied Winfried Hess im Heft für eine Festschrift zum 20-jährigen Bestehen des ÖAKS 2018.

Rückblick - der evangelische Pfarrer Hess und der katholische Pastoralreferent Dr. Gregor Schorberger fragten sich Mitte der 90er Jahre: Warum sollten nicht auch in der Krankenhausseelsorge – genau wie in der Gemeinde- für diesen Dienst geeignete Menschen ehrenamtlich ihre Begabungen einbringen können? „Am Anfang unserer Überlegungen zum Ausbildungs-Konzept stand der einfache Gedanke vom Priestertum aller Gläubigen und die Frage, warum wir eine so schöne Möglichkeit der Nachfolge Jesu, Menschen vorenthalten sollten, nur weil sie nicht hauptamtliche Seelsorger:innen waren?“, sagte Gregor Schorberger in einer gemeinsam mit Pfarrer Hess formulierten Rede zum 25-jährigen Jubiläum des ÖAKS am 6. Juli 2023. In den Besuchsdiensten der Gemeinden ging es doch auch, auch in der Telefon- und Notfallseelsorge, warum nicht auch in der Klinikseelsorge?

Sechs evangelische und zwei katholische Krankenhausseelsorger:innen trafen sich daraufhin am 24. Oktober 1996 zur ökumenischen Arbeitsgruppe „Ausbildung ehrenamtlicher SeelsorgerInnen“, um eine qualifizierte Ausbildung, basierend auf den Erfahrungen der Telefonseelsorge und des Münchner Modells von Peter Frör zu konzipieren. Nach zweijähriger Arbeit startete am 2. Oktober 1998 unter Leitung von Winfried Hess und Gregor Schorberger der erste neun-monatige Qualifizierungskurs.


Heute so einleuchtend, damals nicht selbstverständlich


Das gemeinsame Handeln – „heute klingt es so einleuchtend, damals war es das nicht“, hieß es in der Festrede der Gründerväter. „Ökumenisch sollte es selbstverständlich sein, denn es geht in der Krankenhausseelsorge nicht um das kirchliche Profil, sondern voll und ganz um den kranken Menschen um seiner selbst willen.“ Es seien sehr schöne Erfahrungen gewesen, mit Mitarbeiter:innen aus anderen religiösen Traditionen in der Ausbildung und auch im Dienst zusammen zu arbeiten, verbunden in der Hinwendung zum Menschen und gebunden an klare Standards.

Zunächst gab es nur diese Grundkurse, Anfang 2000 kamen, den Standards der Klinischen Seelsorgeausbildung entsprechende Aufbaukurse hinzu, die sich auch mit thematischen Schwerpunkten wie

Demenz oder Meditation und Spiritualität als Kraftquellen für die Seelsorge auseinandersetzten. Die schnell wachsende Organisation brauchte auch immer mehr Geld für Fahrkosten, Referenten und die Anerkennung

der Ehrenamtlichen. Brigitte und Wolf Lüben gründeten eine Stiftung zur Förderung ehrenamtlicher Mitarbeit in der Seelsorge. Sie akquirierten eine ganze Reihe Preise und Ehrungen. Der Bürgerpreis der Stadt Frankfurt und der Senfkornpreis von Caritas sorgten für Anerkennung und Bekanntheit dieser ökumenischen Bewegung.


„Sie musste von Anfang an lernen, mit ihren Unterschieden evangelisch – katholisch, hauptamtlich – ehrenamtlich zu leben, dabei Ängste überwinden und für ihre Ziele in kirchlichen Strukturen zu kämpfen und

das Ganze als bereichernd zu erfahren“, heißt es im Rückblick von Pfarrer Hess. „Jetzt ist sie da! - nach gefühlten 100 Jahren Arbeit“, stellte Tony Jung-Hankel beim 20-jährigen Jubiläum 2018 fest, als er auf die gemeinsame Rahmenvereinbarung mit den beiden Kirchen hinwies. Ein hart erkämpfter Meilenstein.


„Sorge um die Seele kennt keine religiösen Grenzen“, schrieb Winfried Hess in seiner Chronik vor fünf Jahren. So sei es für den ÖAKS vorstellbar, auch andere Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften einzubeziehen. Erste Schritte sind bereits gegangen worden: Bokhee Kotrba ist die erste buddhistische Mitarbeiterin in der Seelsorge, und auch eine engere Zusammenarbeit mit dem muslimischen Personal vom Verein Salam e.V. ist seit Jahren in vielen Einrichtungen selbstverständlich. „Senfkörner in einer multireligiösen, säkularen Gesellschaft“, so Hess.

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