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Wenn keiner grüßt und alle schweigen


Alexander Wagner vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Ehrenamtlerin Birgit Steinhilber und Pfarrer Gunter Volz stehen vor dem Gerechtigkeitsbrunnen auf dem Römerberg, passend zum Thema. Foto: Anne Zegelman


Mobbing kann die unterschiedlichsten Ausprägungen haben. Wer fürchtet, betroffen zu sein, findet bei der Hotline der Mobbingkontaktstelle Frankfurt-Rhein Main eine erste Anlaufstelle – und Trost, wenn die Situation überfordert.


FRANKFURT.- Mal klingelt das Telefon den ganzen Abend nicht, mal so oft, dass die Beraterinnen und Berater kaum einen Schluck Wasser zwischen den Gesprächen trinken können. „Warum zu manchen Zeiten besonders viel los ist und zu anderen nicht, ist für uns Träger der Mobbingkontaktstelle Frankfurt-Rhein Main dabei nicht ganz leicht zu durchschauen.“ sagt der evangelische Pfarrer Gunter Volz, der seit Start der Mobbing-Hotline 2005 einer der Hauptverantwortlichen des Projekts ist. Nur eins ist definitiv nicht der Grund, ergänzt sein Kollege Alexander Wagner vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Frankfurt: „Wenn wenig los ist, liegt das leider nicht daran, dass es plötzlich kein Mobbing mehr gibt – auch wenn wir uns das wünschen würden.“


Die Mobbingkontaktstelle ist eine gemeinsame Einrichtung der katholischen Stadtkirche, des Bistums Limburg, der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und seiner Gewerkschaften. Die Mobbing-Hotline ist jeden Dienstag und Donnerstag von 17 bis 19 Uhr besetzt. Unter den Telefonnummern (069) 83 00 77 12 8 und (069) 83 00 77 12 9 sind speziell ausgebildete ehrenamtliche Beraterinnen und Berater erreichbar, die zuhören, bei einer Ersteinschätzung helfen und vor allem jede Menge weiterführende Kontaktinformationen bereitstellen können. Einmal im Monat, an jedem zweiten Mittwoch von 18 bis 20 Uhr, gibt es einen Gesprächskreis für Betroffene. Anfang des Jahres wurde die Webseite www.mobbing-frankfurt.de relauncht und bei dieser Gelegenheit auch mobiltauglich und barrierefrei gemacht. „Das ist sehr wichtig, denn wer sich aus einem Impuls heraus dazu entscheidet, Kontakt zu uns aufzunehmen, muss sofort alle Infos finden – und nicht erst Stunden später zuhause am PC“, so Alexander Wagner. Begleitend dazu startete die Mobbingkontaktstelle eine Social-Media-Aktion auf Instagram, Facebook und LinkedIn unter dem Hashtag #gegenmobbing, bei der verschiedene Fallbeispiele aus der Beratungsarbeit – natürlich anonymisiert – vorgestellt werden. Und auch einen neuen Flyer mit einer auffälligen Grafik, bei der freigestellte Münder einen Menschen anbrüllen, der sich die Hände vors Gesicht schlägt, gibt es. Alles, um das Angebot möglichst niedrigschwellig und möglichst breitgestreut weiter bekannt zu machen.



Jörg Heuser ist von katholischer Seite Teil der Mobbingkontaktstelle. Foto: Anne Zegelman

„Bei der Social-Media-Aktion geht es darum, vom Abstrakten aufs Konkrete zu kommen und Beispiele aufzuzeigen, die den Leuten bewusst machen, worum es bei Mobbing geht“, sagt Theologe Jörg Heuser, der von katholischer Seite aus das Projekt betreut und in der Stadtkirche mit seinem Programm Ankerplatz-ffm zuständig für den Bereich Kirche in der Arbeitswelt ist. Und klar, immer geht es auch um Seelsorge, ums erste Auffangen und trösten. Und, wichtig: Ums anschließende Weitervermitteln an jemanden, der ganz konkret Hilfe bereitstellen kann, zum Beispiel Psycholog:innen, Ärzt:innen, Anwält:innen, Betriebs- oder Personalrat.


Oft fließen Tränen


Viele Menschen seien enorm aufgewühlt, oft fließen Tränen, wenn die Anrufer:innen ihre Geschichten erzählen. Diese Erfahrung macht auch Birgit Steinhilber, die seit 2022 zum Team der gut ausgebildeten Ehrenamtlichen gehört. „Viele Menschen wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen, wenn sie gemobbt werden“, erzählt Steinhilber, die zwar als Ehrenamtlerin dabei ist, doch als ausgebildete Sozialarbeiterin auch professionelle Erfahrung mitbringt. „Letztens fragte mich eine Frau, ob ein Betriebsrat denn der Schweigepflicht unterliege. Natürlich ist das so, aber viele kennen sich einfach nicht aus bei solchen Fragen, sind deshalb verunsichert, was sie tun sollen, und fühlen sich machtlos.“ Dabei gibt es viele Möglichkeiten, Mobbing aktiv zu begegnen – bis hin zur Anzeige gegen die Mobber, wenn ein Straftatbestand vorliegt, und natürlich auch einem Jobwechsel.


Gunter Volz, Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung bei der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach, entwickelte die Kontaktstelle Anfang der 2000er-Jahre gemeinsam mit Thomas Wagner vom Bistum Limburg, Barbara Schindler-Bäcker von der katholischen Stadtkirche Frankfurt und Ralf Wilde von ver.di Bildung und Beratung, weil er Bedarf sah. „Seit den 90ern gibt es ,Mobbing‘ als Bezeichnung für anhaltende Schikanierung und Verdrängung vom Arbeitsplatz – ein Phänomen, das erstmals von dem Arbeitspsychologen Heinz Leymann beschrieben und erforscht wurde“, so Volz. Natürlich habe es die Problematik auch schon vorher gegeben; „vermutlich, seit es Menschen gibt.“ Aber erst mit der Prägung eines Begriffs konnte man die Schikanierung wirklich zu fassen kriegen.


Nachdem das damals neue Angebot sich herumgesprochen hatte, gab es viele Interessentinnen und Interessenten. Und das ist bis heute so, denn eine andere Art von Anlaufstelle für Mobbinggeschädigte gibt es in Frankfurt nicht, auch die Stadt verweist auf das kirchlich-gewerkschaftliche Angebot. Bis zu 160 Menschen rufen pro Jahr bei der Beratungsstelle an, gut 80 Prozent davon sind weiblich, viele arbeiten im Dienstleistungssektor oder in sozialen Berufen. Kita, Altenpflege, kirchliche Einrichtungen – das sind klassische Bereiche, in denen die Hierarchien oft flach sind und die persönlichen Grenzen ebenfalls. Auch Anfragen zu Mobbing in der Schule kommen häufiger vor, in dem Fall verweisen die Berater:innen ans staatliche Schulamt.


Mobbing verändert sich


Der Beratungsbedarf hat sich seit Beginn nicht geändert, wohl aber die Art, wie gemobbt wird. Denn natürlich spielen das Internet allgemein und die sozialen Medien im Speziellen heute eine große Rolle. Alexander Wagner vom DGB hat beobachtet: „Social Media, auch WhatsApp, ist beim Mobbing wie eine Echokammer für richtig niederträchtige Dinge.“ Immerhin, wird schriftlich gemobbt, gibt es wenigstens Beweise. Anders ist es beim sogenannten „kalten Mobbing“, das oft weniger sichtbar ist als das „heiße“, leidenschaftliche, aktive Mobbing. „Unter kaltem Mobbing verstehen wir zum Beispiel, wenn nicht mehr gegrüßt wird, Informationen nicht weitergegeben werden und ähnliches“, erklärt Jörg Heuser. Dementsprechend war auch der Titel einer vielbeachteten Ausstellung vor einigen Jahren im Zollamtssaal des Hauses am Dom gewählt, an der auch die Kontaktstelle beteiligt war: „Wenn keiner grüßt und alle schweigen“.


Die Gründe für Mobbing haben sich über die Jahre verändert und wandeln sich weiter: „ Der massive Stellenabbau in vielen Berufsbereichen, hat großen Druck auf Mitarbeiter und Führungspersonen ausgeübt,“ sagt Pfarrer Volz In der Pandemie ging die Nachfrage merklich zurück, vielleicht, weil die Menschen sich weniger begegneten, vielleicht, weil sie andere Sorgen hatten. Künftig könnte die technische Entwicklung, Stichwort Künstliche Intelligenz (KI), für weiteren Stellenabbau sorgen und den Druck weiter erhöhen, was mehr Mobbing zur Folge haben könnte.

Wer ins Team der Mobbing-Kontaktstelle kommen möchte, findet auf der Webseite www.mobbing-frankfurt.de alle Kontaktdaten. Die Ehrenamtlichen erhalten eine mehrteilige Ausbildung an Wochenend- und Abendterminen, die nächste Ausbildung beginnt 2024. Bausteine sind die Eckpunkte des Mobbing, rechtliche Hintergründe, Umgang mit Konflikten, die Vergewisserung der eigenen Rolle sowie, heute unverzichtbar, Wissenswertes rund ums Cybermobbing.

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